Einzelhandel im Marathon-Streik: Klassenkampf in der Kaufhalle

Kolumne Die Gewerkschaft Verdi gibt im Arbeitskampf mit Supermarkt-Ketten wie Lidl, Aldi und Rewe nicht auf. Hierbei braucht sie allerdings einen noch längeren Atem als die Lokführer:innen zuletzt
Ausgabe 16/2024
Angestellte aus einer der größten Niedriglohnbranchen – dem Einzelhandel – fordern faire Löhne
Angestellte aus einer der größten Niedriglohnbranchen – dem Einzelhandel – fordern faire Löhne

Foto: Imago/HärtelPRESS

Herzerwärmend waren die vergangenen Monate – denn es wurde so viel öffentlichkeitswirksam gestreikt wie selten. Klar, es gab auch das übliche Arbeitgeber- und Wahlkampfgetöse dagegen, aber viele Beschäftigte im ÖPNV, bei der Bahn und an den Flughäfen ließen sich nicht davon abhalten, sich gemeinsam mit ihren Kollegen für mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen und auch noch Klimaschutz einzusetzen. Allerdings ist dabei untergegangen, dass in anderen Branchen auch gestreikt wird, etwa im Einzelhandel: Lang anhaltend, zäh und mit weniger medialer Beachtung.

Die Branche ist für Verdi schwer zu organisieren

Seit elf Monaten werden wellenartig die mithin reichsten deutschen Konzerne – darunter Kaufland, Edeka und Lidl – lahmgelegt. Die Region Hannover allein bringt es auf 803 Tage Arbeitskampf im vergangenen Jahr, berichtet der dortige Verdi-Vertreter Mizgin Ciftci – in einer chronisch unterorganisierten Branche gewinnt die Gewerkschaft so neue Mitglieder; vom 1. Mai an folgt eine Lohnerhöhung „im tarifgebundenen Einzelhandel“ von zehn Prozent. Trotzdem gibt es nach, einem Jahr Arbeitskampf noch keinen rechtssicheren Tarifabschluss, von flächendeckender Organisierung ist Verdi weit entfernt.

„Mehr als zwei Drittel der Beschäftigten sind Frauen und/oder migrantische Kollegen, vor allem an den Lagerstandorten“, sagt Ciftci. „Sie arbeiten in prekären Beschäftigungsverhältnissen oder Teilzeit. Viele haben auch noch andere Jobs. Wir haben erschwerte Bedingungen, was gewerkschaftliche Arbeit angeht. Wir organisieren im absolut prekären Bereich. In manchen Lagern werden fünfzig Sprachen gesprochen.

Niedriglohn und Tarifflucht

Der Einzelhandel ist eine der größten Niedriglohnbranchen in Deutschland – und eine der profitreichsten: 2023, so das Handelsblatt, seien die Erlöse von Rewe um 10,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Dieter Schwarz (zur Schwarz-Gruppe gehören Lidl und Kaufland) ist laut Forbes seit diesem Jahr nur noch zweitreichster Deutscher, aber mit den Albrecht-Brüdern (Aldi) weiter in guter Gesellschaft unter den Top Ten. Amazon scheint ihnen das Vorbild in Sachen Profitsteigerung zu sein – der Konzern gesteht nach Arbeitskämpfen Lohnerhöhungen zu, verweigert aber einen Tarifvertrag.

Gewerkschafter Ciftci erklärt, wie der deutsche Einzelhandel in Sachen Tarifflucht vorgeht: „Rewe und Edeka privatisieren einzelne Märkte. Die gehören dann nicht mehr zur Kette und fallen aus den Tarifverträgen. Weniger als 30 Prozent sind überhaupt noch tarifgebunden.“ Die Konzerne täten zudem alles dafür, dass die Kunden die Streiks nicht bemerken. „Aber wir machen weiter. Wir haben uns auf einen Marathon eingestellt.“

Politik von unten

Nina Scholz schreibt in ihrer Kolumne Politik von unten unter anderem über Arbeitskämpfe und die so genannte Gig-Economy

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