Klimaforscher Gianluca Grimalda droht Entlassung, weil er nicht fliegen will

Skandal Ein halbes Jahr war Gianluca Grimalda für Feldforschung in Sachen Klimawandel in Papua-Neuguinea. Zurück wolle er mit dem Schiff reisen, um CO₂ einzusparen. Jetzt droht ihm das Institut für Weltwirtschaft in Kiel mit Entlassung
So schützt man sich in Bougainville, Papua-Neuguinea, gegen den Anstieg der Meere
So schützt man sich in Bougainville, Papua-Neuguinea, gegen den Anstieg der Meere

Foto: Eric Lafforgue/

Bei der Nachricht hat Gianluca Grimalda am Freitag nicht schlecht gestaunt: Sein Arbeitgeber, das Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW), schrieb ihm: Wenn Sie am Montag nicht an Ihrem Arbeitsplatz aufzufinden sind, haben Sie keinen Job mehr! Das ist heikel, weil Grimalda ein Klimaforscher ist, der aus Prinzip kein Flugzeug besteigt. Trotzdem sollte er nach Abschluss seiner Feldforschung auf Bougainville im Archipel der Salomonen auf schnellstem Weg zurück nach Deutschland zurückkehren – also durch die Luft. Grimalda hatte dort sechs Monate lang die Auswirkungen des Klimawandels und der Globalisierung auf Gemeinden in Papua-Neuguinea untersucht. Jetzt wartet er in Buka Town, Bougainville, auf ein Frachtschiff, um seine Rückreise nach Europa anzutreten. Ist er dann bald arbeitslos?

Grimalda sagt, er wolle die 22.000 Kilometer lange Rückreise nach Europa ganz ohne Flug zurücklegen und stattdessen mit Frachtschiffen, Fähren, Zügen und Bussen reisen. Das dürfte ungefähr zwei Monate dauern, aber 3,6 Tonnen Kohlenstoffemissionen einsparen. „Ich habe dem Präsidenten meines Instituts geschrieben, um ihm mitzuteilen, dass ich heute nicht da bin und dass ich mit dem Schiff und über Land zurückreisen werde“, sagte er am Montag. „Ich fühle mich jetzt gut, aber einige der vergangenen Tage waren ziemlich traumatisch, weil ich ein solches Verhalten von den Leuten in meinem Institut nicht erwartet hatte. Aber ich denke, ich habe die richtige Entscheidung getroffen.“

Schon im Februar hatte Gianluca Grimalda seine Hinreise ohne Flugzeug bei Twitter dokumentiert:

Eingebetteter Medieninhalt

Papua-Neuguinea, zu dem Bougainville gehört, ist eines der Länder, die am stärksten von den Auswirkungen der Klimaerwärmung betroffen sind. In einem langen Twitter-Thread berichtet Grimalda von seinen Begegnungen mit Inselbewohnern, die gezwungen waren, ganze Dörfer ins Landesinnere zu verlegen, um den steigenden Fluten zu entgehen, oder die verzweifelt Mangroven pflanzten, um das Wasser zurückzuhalten. Und jetzt soll er gefeuert werden, weil er die Klimakatastrophe nicht noch weiter anheizen will?

Ein weitreichendes Versprechen von Gianluca Grimalda

Während seiner Feldforschung unter den Papuas hielt Grimalda Dutzende von Vorträgen über die Wissenschaft des Klimazusammenbruchs – und inwiefern die Inselbewohner davon betroffen sind. Dabei machte er ihnen ein Versprechen: Auf seiner Rückreise nach Europa werde er seine CO₂-Emissionen minimieren, um nicht zu ihrem Leid beizutragen. „Weiße Männer, wie wir hier genannt werden, werden oft als giaman bezeichnet“, erklärte er auf Twitter. Das Wort lässt sich am besten als „Lügner“ oder „Betrüger“ aus der lokalen Sprache Tok Pisin übersetzen. „Und ich will kein giaman sein“, so Grimalda weiter.

Der Forscher räumt ein, dass seine Rückkehr nach Kiel überfällig ist. Seine Feldarbeit sollte ursprünglich bereits im Juli abgeschlossen werden, am 10. September hätte er wieder in Deutschland sein sollen. Aber er sagt, dass er mit einer Reihe von „unvermeidlichen Verzögerungen“ konfrontiert wurde – darunter eine Geiselnahme durch Macheten-schwingende Banditen, Diebstähle seiner Forschungsgegenstände und andere Schwierigkeiten.

„Es braucht Zeit, um Vertrauen zwischen den Gemeinden und einem weißen Mann wie mir aufzubauen“, erzählt Grimalda. „Mehrere Gemeinden haben mich zweimal oder sogar dreimal vor Beginn der Feldarbeit aufgefordert, den Inhalt der Forschung zu erklären.“ Unterstützer von Grimalda glauben, dass das Kieler Institut die Gelegenheit jetzt nutzt, um sich an ihm für seine Teilnahme an Klimaprotesten zu rächen, bei denen es zu zivilem Ungehorsam kam.

„Eine absolute Schande“

„Es ist außergewöhnlich, dass ein Forschungsinstitut damit droht, einen Forscher zu entlassen, weil er seine Arbeit zu gewissenhaft macht und es vermeidet, inmitten der Klimakatastrophe ein Flugzeug zu besteigen zu fliegen“, sagt Julia Steinberger, Professorin für gesellschaftliche Herausforderungen des Klimawandels an der Universität Lausanne und eine der Hauptautorinnen des jüngsten Berichts des International Panel on Climate Change.

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„Das IfW Kiel scheint vor allem Vergeltung für Gianlucas frühere Teilnahmen an zivilem Ungehorsam mit Scientist Rebellion zu üben.“ Fabian Dablander, Postdoktorand am Institut für Biodiversität und Ökosystemdynamik der Universität Amsterdam, sagt: „Was Gianluca tut, ist ein zutiefst inspirierender Akt, der mit der üblichen Praxis bricht. Jedes Forschungsinstitut sollte sich glücklich schätzen, ihn zu haben. Stattdessen will das IfW Kiel ihn entlassen. Das ist eine absolute Schande.“

Ein Sprecher des Kieler Instituts ließ gegenüber dem britischen Guardian mitteilen, dass es sich nicht öffentlich zu internen Personalangelegenheiten äußern werde. „Bei Dienstreisen unterstützt das Institut seine Mitarbeiter, klimafreundlich zu reisen“, so ein Sprecher.

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Geschrieben von

Damien Gayle und Ajit Niranjan | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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