Lieferdienste: Der Kampf der Kuriere ist nicht vorbei

Politik von unten Radkuriere von Lieferdiensten organisierten sich und starteten wilde Streiks – teils mit Erfolg. Doch die Zustände bei Lieferando, Wolt oder Ubereats zeigen: Gute Arbeit ist in dieser Branche noch lange nicht die Regel
Ausgabe 28/2023
Dieser Rider könnte auf dem Weg zu einer Protestaktion gegen seinen Arbeitgeber Wolt sein.
Dieser Rider könnte auf dem Weg zu einer Protestaktion gegen seinen Arbeitgeber Wolt sein.

Foto: Imago

Ich berichte schon seit einigen Jahren vom langen, teilweise erfolgreichen Kampf der Lieferkuriere, die bei Plattform-Unternehmen beschäftigt sind. Die Tech- und Start-up-Wirtschaft ist, seit es sie gibt, unreguliert und unterläuft systematisch Arbeitsrechte, die vor zehn, 20 Jahren weitestgehend als gesetzt galten. Die Gig-Economy heißt ja so, weil die Beschäftigten nur bezahlt werden, solange sie eine Tätigkeit ausführen. Ihr boten die Lieferkuriere 2016 als Erste die Stirn, indem sie begannen, sich in basisdemokratischen Strukturen und für wilde Streiks zu organisieren.

Heute könnte man – zumindest bei Lieferando – denken, dass die Wild-West-Zeiten bald vorbei sind. Es gibt Festanstellungen und ein paar Dutzend Betriebsräte; spektakuläre Union-Busting-Versuche, um gewerkschaftliche Arbeit zu behindern, sind weitgehend abgewehrt. Akteure wie die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten haben manch basisdemokratischen Kampf eingehegt; gemeinsam mit den Lieferando-Kurieren will die NGG den ersten Tarifvertrag in der Plattform-Wirtschaft überhaupt erstreiken. Eine Hochzeit für Regulierung und Arbeitsrechte?

Proteste gegen Wolt in Berlin

Für manche der Kuriere mag das bald zutreffen. Die Lieferdienste selbst tun hingegen gerade einiges dafür, dass es für sie weitergeht wie bisher. Da ist zum Beispiel der Lieferdienst Wolt: Seit ein paar Wochen organisieren dessen meist migrantische Kurierfahrer Proteste in Berlin. Sie werfen Wolt vor, ihnen seit Monaten Löhne vorzuenthalten. Ein Kurier berichtet mir, dass er gar nicht bei Wolt beschäftigt sei, obwohl er eine Wolt-Uniform trage und seine Rucksäcke wie seine Aufträge über die Wolt-App erhält.

Der Subunternehmer? Angeblich verschwunden, und die Löhne der Fahrer mit ihm. Wolt verweist in der taz auf die Verantwortung eines externen Personaldienstleisters und eine juristische Prüfung entsprechender Fälle.

Valentin Niebler, der seit Jahren zu den Lieferplattformen forscht, erklärt mir, Wolt sei mit diesem Modell der Scheinanstellung nicht allein: „Ubereats setzt in Deutschland auf die gleichen Mechanismen der Scheinselbstständigkeit wie das Elternunternehmen Uber, das dafür schon seit Jahren in der Kritik steht. Die Kuriere sollen als Selbstständige arbeiten, sind aber Ubereats weisungsgebunden, also dort beschäftigt.“

Migranten ohne Wissen über ihre Rechte

Auch bei Lieferando ist die Welt nicht so in Ordnung, wie es scheint, sagt mir ein Berliner Betriebsrat: „Die meisten Auslieferungen passieren nicht über uns Kuriere, sondern über Fahrer, die direkt von den Restaurants beauftragt werden. Das sind oft Migranten, die wenig über ihre Rechte in Deutschland wissen.“

Lieferdienste scheinen neue Wege zu suchen, um auf dem Rücken von Beschäftigten Profite zu erwirtschaften. Der Kampf der Kuriere, vor allem der prekärsten unter ihnen, ist noch lange nicht vorbei.

Nina Scholz schreibt im Freitag unter anderem über Arbeitskämpfe und die so genannte Gig-Economy. Sie ist Autorin der im Verlag Bertz + Fischer erschienenen Bücher Die wunden Punkte von Google, Amazon, Deutsche Wohnen & Co. sowie Nerds, Geeks und Piraten. Digital Natives in Kultur und Politik.

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