Auch in den Augen der Regierung der USA scheint Israel nun die Grenzen seines Selbstverteidigungsrechts nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober erreicht zu haben. Washington machte unzweideutig klar, dass es zurzeit keinen Krieg mit dem Iran und keine Offensive der israelischen Armee nach Rafah unterstützen würde. Denn einen überzeugenden Plan, wie und wohin die dortige Zivilbevölkerung evakuiert werden könnte, hat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu offenbar nicht vorgelegt. Außenminister Antony Blinken wurde wieder einmal in den Nahen Osten geschickt, um endlich eine Waffenruhe und einen Austausch von israelischen Geiseln gegen palästinensische Gefangene zu erreichen.
Der Pro-Palästina-Protest ist divers
Diese entschiedene Position der US-Regierung kann kaum überraschen, ist sie doch als gewichtiger Faktor im Wahlkampf von Präsident Joe Biden zu erkennen. Eine anschwellende Protestbewegung der akademischen Jugend hat erzwungen, die jahrzehntelange „bedingungslose Unterstützung Israels“ infrage zu stellen. Sie wird von einem beträchtlichen Teil des Lehrpersonals und vielen namhaften Intellektuellen unterstützt.
An 40 Universitäten der USA wird seit Wochen für einen gerechten Frieden zwischen Israelis und Palästinensern demonstriert, auch an den bekannten Eliteuniversitäten wie Stanford, Yale, Princeton und Berkeley. Entscheidend für die Durchschlagskraft dieser Bewegung ist, dass nicht nur Muslime sie tragen, sondern laut Medienberichten zu etwa einem Drittel Studenten mit jüdischem Hintergrund sowie vielen anderen Identitäten.
Antisemitische Vorfälle in den USA
Ein solch diverses Protestcamp entstand auch auf dem Campus der Columbia University in New York. In und vor Hunderten Zelten wurde über die Dringlichkeit eines Friedensschlusses diskutiert, gesungen und friedliches Miteinander vorgelebt.
In Politik und Medien wurden die Protestaktionen mitunter als „antisemitisch und gefährlich“ verunglimpft; jüdische Studenten und Lehrkräfte seien nicht mehr sicher. Es gibt aus den USA auch Berichte von Hakenkreuzschmiererein, Vandalismus etwa gegen die jüdische Mesusa-Schriftkapsel an der Wohnheimzimmertür eines Studenten oder Protest-Regeln wie „Nicht mit Zionisten reden“.
An der Columbia hingegen begingen jüdische Aktivisten den Sederabend öffentlich auf dem Campus und luden alle Anwesenden dazu ein. Viele Träger der Kufiya, des Palästinensertuches, nahmen dies wahr. Umgekehrt bieten Studenten mit arabischem Hintergrund Speisen aus ihren Kulturen an.
Besetzung der Hamilton Hall
Columbia-Präsidentin Minouche Shafik rief dennoch die Polizei. Als Vorwand diente ihr, dass Studenten auch BDS-nahe Positionen vertraten wie die Forderung, ihre Uni solle die Beziehungen zu israelischen Unternehmen und Institutionen kappen, die „von Israels Apartheid, Genozid und der Besatzung Palästinas profitieren“. Die Polizei selbst hatte verlauten lassen, dass auf dem Campus keine Gewalt festzustellen sei. Dennoch rückten Polizisten in Kampfmontur an, prügelten und nahmen Hunderte junge Leute, zu einem Viertel Juden und Jüdinnen, fest. Ähnliches geschah an anderen Unis.
Professoren solidarisieren sich weiter mit den Studenten. Diese errichten ihre Protestcamps erneut. Die Bewegung kann die Dynamik der Proteste gegen den Vietnamkrieg erreichen, wie die Besetzung der Hamilton Hall an der Columbia zeigt: Das Gebäude haben schon 1968 die Bürgerrechts- und Friedensbewegung und 1985 die gegen Südafrikas Apartheid besetzt.