Neue „Science“-Studie: Falscher Klimaschutz gefährdet die Ernährungssicherheit

Kolumne Die EU-Kommission hat ihren Klimaschutzplan vorgestellt. Demnach sollen die Emissionen bis 2040 um 90 Prozent sinken. Wie viele Regierungen setzt die Staatengemeinschaft auf CO₂-Kompensation. Eine Studie zeigt: Das ist ein gefährlicher Pfad
Ausgabe 06/2024
Das Abholzen des Regenwalds muss aufhören – zumindest, wenn wir am Abwenden der drohenden Klimakatastrophe interessiert sind
Das Abholzen des Regenwalds muss aufhören – zumindest, wenn wir am Abwenden der drohenden Klimakatastrophe interessiert sind

Foto: Ahmad Zamroni/AFP via Getty Images

Die Europäische Kommission hat sich viel vorgenommen: Sie will Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt machen. Dafür legte sie nun ihren Klimaschutz-Plan vor. Der sieht vor, die Treibhausgas-Emissionen in der EU bis 2040 um 90 Prozent im Vergleich mit 1990 zu senken. Damit wählt die Kommission den niedrigeren der wissenschaftlich empfohlenen Werte. Bislang war sie ein solches Etappenziel schuldig geblieben, zu dem sie das EU-Klimaschutzgesetz verpflichtet hatte.

Auf dem Weg zur Klimaneutralität wird die EU-Kommission allerdings erfinderisch. CO₂-Abscheidung und -Speicherung sollen es richten, von „Kohlenstoffabbau an Land durch die Bindung von Kohlenstoff in Biomasse und Böden“ und „BioCCS“ – Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung – ist da die Rede. Nicht nur ist die CCS-Technologie noch völlig unterentwickelt und riskant, es gibt auch noch ein anderes großes Problem.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Angesichts der bereits fühlbaren Effekte des Klimawandels und der noch schlimmeren für die Zukunft prognostizierten ist es eigentlich ein „No-Brainer“, wie man im Englischen so schön sagt: Klimaschutz muss oberste Priorität haben. Allerdings mit einer Einschränkung: Es wäre gut, wenn wir das auch überleben würden – also nicht die drohende Klimakatastrophe, sondern den Klimaschutz, der sie verhindern soll. Wie eine neue im Fachmagazin Science veröffentliche Studie zeigt, könnte das aber eng werden.

Die Welt ist kein Computerspiel

Denn nicht nur die EU-Kommission, sondern Regierungen weltweit setzen in ihren Klimaplänen zu viel darauf, CO₂ aus der Atmosphäre zu entziehen – und zu wenig darauf, es gar nicht erst auszustoßen. Laut Analyse der Forschenden planen sie 2030 doppelt so viel CO₂ auszustoßen, wie mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel wäre. Das versuchen sie wettzumachen, indem sie das Klimagas wieder aus der Atmosphäre ziehen.

Dabei setzen sie vor allem auf Wiederaufforstung und BioCCS. Das große Problem damit: Die dafür benötigten Energiepflanzen wie Zuckerrohr und Mais, aber auch die vielen schönen Bäume müssen irgendwo wachsen. Und dafür brauchen sie Platz. Zu viel Platz.

Setzten die Regierungen ihre Pläne wie derzeit vorgesehen um, würden dafür bis 2060 rund zwölf Millionen Quadratkilometer draufgehen, das ist fast die gesamte weltweit verfügbare Ackerfläche. Dann wäre zwar weniger CO₂ in der Atmosphäre, es hätte halt aber leider auch niemand mehr etwas zu essen. Die Schuld an dieser Fehlplanung sehen die Leitautorin Alexandra Deprez vom französischen Institut für nachhaltige Entwicklung und internationale Beziehungen und ihre Mitforschenden beim Weltklimarat.

Der ermittelte zwar Grenzen für das technische Potential von Biokraftstoffen und Wiederaufforstung, ließ dabei aber das Risiko für Landwirtschaft, Lebensgrundlagen und die Artenvielfalt außer Acht. „Das liegt daran, dass es nicht genug Land auf unserem Planeten gibt“, fasst Ko-Autor Paul Leadley von der Universität Paris-Saclay das Dilemma zusammen.

Man kann also sagen, der Weltklimarat hat bei seinen Berechnungen leider vergessen, dass die Welt kein Computerspiel ist, bei der man sich beliebig Flächen dazu bauen kann. Viel mehr Sie ist sie ein sehr realer Ort mit sehr realen Grenzen. Und da müssen wir im Zweifel entscheiden zwischen Energiemais, Bäumen oder Kartoffeln.

Aber kein Grund in Fatalismus zu verfallen, denn zum Glück gibt es für all das eine einfache Lösung: Wir müssen einfach so schnell wie möglich aus den fossilen Brennstoffen aussteigen. Warum machen wir das nochmal nicht?

Forst und Wüste

Svenja Beller ist freie Journalistin und Buchautorin. Für den Freitag schreibt sie die Kolumne „Forst und Wüste“ über Klimapolitik, Umweltschutz und was sonst noch alles schief geht.

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