Sieht man sich die Medienlandschaft an, kann man ohne Umschweife feststellen: Das Besondere an dieser Ausgabe des Freitag ist, dass es sie überhaupt gibt. Aus dem Freitag als Ergebnis einer gelungenen Fusion zwischen einer ost- und einer westdeutschen Wochenzeitung im Jahr 1990 ist nach diversen Häutungen in 33 Jahren nun eine veritable, auf eigenen Füßen stehende Wochenzeitung mit stabil steigender Auflage geworden. Das ist eine reife Leistung, zu der man alle in Redaktion und Verlag nur beglückwünschen kann. Einen solch langen Atem hatten nicht viele Menschen mit Zeitungsprojekten der Wendezeit, umso mehr, da es beim Freitag eben keinen finanzstarken Zeitungsverlag gab, der zunächst schwindende Auflagen auffangen oder Investitionen in Redaktionstechnik finanzieren konnte und wollte.
Kurz vor den ersten gesamtdeutschen Wahlen
Das war aber andererseits Voraussetzung, dass man den Anspruch, Ost-West-Wochenzeitung zu sein, auch mit Leben erfüllen konnte. Das Interview mit Hans-Christian Ströbele von den Grünen und mir in der ersten Ausgabe am 9. November 1990 stand dafür sinnbildlich. Keine vier Wochen später bei den ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen waren es übrigens die ostdeutschen Wähler und Wählerinnen, die der PDS in den Bundestag verhalfen und die Grünen vor dem Komplettabsturz eines Ausscheidens aus dem Bundestag bewahrten. Damals galt die Fünf-Prozent-Hürde in Ost und West getrennt, und es reichte, wenn man sie in einem der beiden Wahlgebiete erreichte.
Schaut man sich dagegen die heutige Politik der Ampel-Koalition an, wird deutlich, dass die Grünen Teile ihrer eigenen Geschichte offenbar vergessen haben. Ich kann mir zumindest lebhaft vorstellen, was Hans-Christian Ströbele zu den aktuellen grünen Verrenkungen bei Krieg und Frieden und in der Migrationspolitik sagte.
Respekt und Schreibkultur
der Freitag stand von Anfang an dafür, Debatten zwischen Ost und West über alle Themen mit Respekt, gedanklichem Tiefgang, Schreibkultur und einem besonderen Gefühl für Zwischentöne zu gestalten. Dafür sprachen schon die Namen der Herausgeberin und Herausgeber der ersten Stunde. Wer mit Günter Gaus und Wolfgang Ullmann, Gerburg Treusch-Dieter und Christoph Hein seine publizistischen Grundsätze und Leitlinien prägte, setzte ein Zeichen in der Medienlandschaft des gerade vereinigten Landes, das es so nicht noch einmal gab.
Natürlich vergehen 33 Zeitungsjahre in diesen bewegten Zeiten nicht als lineare Aufwärtsbewegung. Abgesehen von der ohnehin schwierigen Situation, in der sich Zeitungen und Zeitschriften seit Jahren befinden, sind in einem so langen Zeitraum auch unterschiedliche Sichtweisen über die Zukunft des Blattes nicht zu vermeiden. Doch letztlich fanden Verlag und Redaktion immer wieder in den Krisen neue Chancen, wie sich zum Beispiel in der frühzeitigen Bildung und Einbindung einer Community im Online-Auftritt zeigte, was dem Webportal eine Vielzahl höchst lesenswerter Texte bescherte.
Dies und vieles andere, was den heutigen Freitag ausmacht, ist mit dem Verleger Jakob Augstein verbunden. Bei aller Streitbarkeit war und ist er ein Glücksfall für das Blatt und damit ein bisschen auch für die deutsche Medienlandschaft, die ohne den Freitag ein Stück ärmer wäre. Und ehrlich gesagt: Wie könnte man Spiegel-Gewinne besser angelegt haben als für diese wunderbare Zeitung? Möge der Freitag auch in 33 Jahren noch jeden Donnerstag für Lesegenuss sorgen. Nur auf einen Artikel von mir wird man dann wohl verzichten müssen.
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