Die fünf Sterbephasen der Linkspartei nach Elisabeth Kübler-Ross

Kolumne Erinnert sich noch jemand, welch schillernde Truppe die PDS in den 1990ern war? Was ist passiert in der Zeit bis zur jüngsten Wahl Heidi Reichinneks und Sören Pellmanns im Bundestag?
Ausgabe 09/2024
Immer noch ein Wortführer: Gregor Gysi inmitten der Gruppe Die Linke im Bundestag
Immer noch ein Wortführer: Gregor Gysi inmitten der Gruppe Die Linke im Bundestag

Foto: Metodi Popow/Image Images

Wann fing sie eigentlich an, die bleierne Zeit für Linke? Vielleicht erinnert sich noch jemand an die PDS, die für ein paar Jahre eine schillernde Truppe war. Stefan Heym hatte 1994 als Alterspräsident den Bundestag eröffnet, wo für die Partei noch ein zweiter Schriftsteller saß, der wortgewaltige Gerhard Zwerenz, und natürlich als Wortführer Gregor Gysi, ebenso wie der ehemalige Jagdflieger Heinrich Graf von Einsiedel und die von Journalisten gewählte „Miss Bundestag“, namentlich Dagmar Enkelmann (im Übrigen eine promovierte Historikerin), und andere.

„Kopf hoch, nicht die Hände!“

Auf Parteikonferenzen sah man Punks abstimmen und Hippies mit alten Veteranen reden. In Ostdeutschland besaß die PDS vielerorts so etwas wie die kulturelle Hegemonie. Und das Beste: In ihren Reihen engagierten sich Tausende zornige, aber auch hochgebildete Arbeitslose – damals, als die Partei noch Zugang hatte zur Lebenswelt der Alleinerziehenden, der Niedriglöhner und Stütze-Empfänger. „Kopf hoch, nicht die Hände!“, stand auf den Plakaten und sprach vielen aus dem Herzen. – Wann hat das aufgehört?

Als in der Rosa-Luxemburg-Stiftung vor nicht ganz zwei Jahren der Historiker Jörn Schütrumpf in den Ruhestand ging, kam er in einem Podiumsgespräch mit der Stiftungsvorsitzenden Dagmar Enkelmann auf den Klimawandel in der Partei zu sprechen. Schütrumpf erinnerte sich und andere daran, dass die Aufarbeitung der SED-Geschichte Mitte der Neunzigerjahre für beendet erklärt worden war. Im Apparat hatte sich die Gruppe derer durchgesetzt, die zum Ende der DDR eine angefangene Karriere gehabt hatten: eine Karriere, die nun alle Strömungskonflikte, Fusionen und Abspaltungen (Stichwort Sahra Wagenknecht) überdauern sollte.

Reichinnek und Pellmann

Wobei im Rückblick von „Strömungen“ nicht gesprochen werden kann, eher von Netzwerken, die die eigene Stellung im Politbetrieb sichern und verbessern sollten. Seilschaften, die sich wie ein Krebsgeschwür in den Landesverbänden breitgemacht und die Handlungslogik linker Mandatsträger bestimmt haben.

Elisabeth Kübler-Ross spricht von fünf Sterbephasen: Nicht-wahrhaben-Wollen, Wut, Verhandeln, Depression und schließlich Akzeptanz. Die jüngste „Gruppenratswahl“, in dem, was früher einmal Linksfraktion im Bundestag hieß, dürfte womöglich Ausdruck dieser letzten Phase sein: Die Gewählten Heidi Reichinnek und Sören Pellmann widmen sich der Sterbebegleitung. Inhalte sind weitgehend überwunden. Mit einem Wiedereinzug bei den Wahlen im nächsten Jahr will die Partei nicht mehr behelligt werden, sie hat ihren baldigen Tod akzeptiert. Die Sterbende verlangt nun nach Ruhe. Wichtig jetzt: Mit der Patientin sprechen, sie beim Namen nennen, ihr die Hand halten – das zeigt ihr, dass sie nicht allein ist. Auch eine bewusstlose Partei braucht gute Worte und Gesten. Wer kann schon mit Sicherheit sagen, dass sie in diesem Zustand nichts mehr mitbekommt?

Die Krise der KPD vor 100 Jahren

Aber wer weiß? Totgesagte leben länger. Der Tagesspiegel zitierte jüngst die Co-Parteivorsitzende Janine Wissler: „Es gab schon deutlich größere Widersprüche in der Geschichte der Arbeiterbewegung.“ Wohl wahr. Vor hundert Jahren erklärte Teddy Thälmann, die Depression und Passivität sei unter den Parteigenossen größer als unter den Massen. 1924 verlor seine Partei, die KPD, innerhalb eines Jahres bei zwei Reichstagswahlen knapp eine Million Wähler und noch dazu etwa 100.000 Mitglieder. Das war mal ’ne Krise! Und dann erst die Abspaltungen: KAPD, KPO und nicht zu vergessen später der Leninbund!

Wie haben die Genossen da bloß wieder herausgefunden? – Vielleicht, weil sie noch eine Utopie hatten, ein Zukunftsmodell, das den prekär lebenden Menschen Hoffnung gab.

Karsten Krampitz ist Schriftsteller und Historiker aus Berlin. Er hat soeben das Buch Pogrom im Scheunenviertel im Verbrecher Verlag veröffentlicht

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Geschrieben von

Karsten Krampitz

Historiker, Schriftsteller

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