Fabio De Masi zu Cum-Ex: „Grüner Minister wollte Anne Brorhilker zu faulen Deals drängen“

Interview Der Verlust von Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker sei eine Katastrophe für den Staat, sagt BSW-Politiker Fabio De Masi. Ein Gespräch über Cum-Ex, Wirecard, Olaf Scholz und politische Einflussnahme auf die Justiz bei Wirtschaftskriminalität
„In Deutschland unterhielten neben dem SPD-Bundeskanzler auch die FDP und die CDU Verbindungen zur Cum-Ex-Industrie“, sagt Fabio De Masi.
„In Deutschland unterhielten neben dem SPD-Bundeskanzler auch die FDP und die CDU Verbindungen zur Cum-Ex-Industrie“, sagt Fabio De Masi.

Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Deutschlands im Kampf gegen Finanzkriminalität schlagkräftigste Oberstaatsanwältin schmeißt hin – Anne Brorhilker bittet in Nordrhein-Westfalen um Entlassung aus dem Beamtenverhältnis und wird neue Geschäftsführerin der Denkfabrik Bürgerbewegung Finanzwende. Die hat auch Fabio De Masi unterstützt, als „Fellow“ – inzwischen hat sich der Finanzexperte und frühere Linken-Bundestagsabgeordnete dem Bündnis Sahra Wagenknecht angeschlossen und bildet mit Thomas Geisel dessen Spitzenkandiaten-Duo für die Europawahl.

Im Januar 2025 wird De Masis Buch Geld, Macht, Verbrechen. Wie wir die Demokratie vor Finanzkriminellen und dem großen Geld schützen erscheinen. Darin greift er auf seine jahrelange Erfahrung als „Finanzdetektiv“ in- und außerhalb des Parlaments zurück. De Masi brachte im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags die entsprechende Aufklärung maßgeblich voran und gilt als einer der besten Kenner von Betrugsmethoden wie Cum-Ex, bei denen sich Täter eine einmal gezahlte Kapitalertragssteuer zwei-, drei- und vielfach vom Staat zurückerstatten ließen und die öffentliche Hand damit um Milliarden prellten.

der Freitag: Herr De Masi, ist es eine schlechte oder eine gute Nachricht, dass Anne Brorhilker als Oberstaatsanwältin aufhören wird – sie verstärkt ja die „Bürgerbewegung Finanzwende“ und stärkt die Gegenlobby zur Einflussnahme zur Finanzwirtschaft?

Fabio De Masi: Für meine früheren Kolleginnen und Kollegen von Finanzwende ist das ein echter Coup auf dem „Transfermarkt“. Aber für den Rechtsstaat ist es eine Katastrophe. Frau Brorhilker war Deutschlands wichtigste Cum-Ex Ermittlerin. Ihre Arbeit wurde von der Politik zuweilen sabotiert. Der grüne Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Benjamin Limbach, wollte sie zu faulen Deals mit der organisierten Finanzkriminalität drängen. Auch ihr Anliegen, Ermittlungen zum Einfluss des Bundeskanzlers auf das Steuerverfahren der Warburg Bank zu führen, wurden behindert. Dies wurde mit der gehobenen Stellung des Bundeskanzlers begründet, die einer langwierigen Auswertung – etwa von beschlagnahmter Kommunikation von Scholz und Co. – entgegengestanden hätte. Das verstößt gegen ein eisernes Prinzip: Ein Straßenfeger, ein Bankster oder ein Bundeskanzler müssen gleich vor dem Gesetz sein!

„Die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen“ – steht Ihnen ein konkretes Beispiel, abseits von Senat und Warburg Bank in Hamburg, vor Augen, bei dem das zutrifft?

Denken Sie an den Mannesmann-Prozess, der zu Einstellungen von Verfahren führte. Und österreichische Ermittler werfen der Münchener Staatsanwaltschaft sogar vor, sich mit dem flüchtigen Wirecard-Manager Jan Marsalek akkordiert zu haben und einem ehemaligen österreichischen Verfassungsschützer trotz Fahndung in Österreich freies Geleit nach Dubai zugesichert zu haben. Ich würde nicht darauf wetten, dass der Wirecard-Prozess mit hohen Haftstrafen endet. Es ist im Wirtschaftsstrafrecht üblich, aufgrund der Waffenungleichheit Verfahren nicht zum bitteren Ende zu führen und einen Deal zu machen. Der schwache Staat begünstigt die Wirtschaftskriminalität, weil zu wenig Personal einer Armee von Juristen der Finanzindustrie gegenüberstehen. Nun stellen Sie sich die Anreize vor, wenn man Millionen und Milliarden mit Cum-Ex verdient und bei einem solchen Deal nur die Hälfte der Tatbeute zurückbezahlt. Wenn der Rechtsstaat das duldet, ist das Anstiftung zur Plünderung. Frau Brorhilker hat aber gesagt, das machen wir nicht, wir nehmen uns die Zeit, die wir brauchen, und arbeiten genug spezialisierte Staatsanwälte für diese Fälle ein. Denn es geht hier um Multimillionen- und Milliardenschäden in jedem Verfahren. Ein Flat-Rate-Rechtsstaat, der auf Milliarden Tatbeute verzichtet, wäre nicht nur teuer. Das wäre Strafvereitelung im Amt. Und etwas zurückzuzahlen, das ich zuvor geraubt habe, ist ja noch nicht einmal die echte Strafe. Die wirkliche Strafe ist, dass diese Top-Banker mit Kernseife in den Bau müssen und sich da nicht freikaufen können. Nur so schreckt man diese Kriminellen ab.

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„Gesetzgeber und Bankenaufsicht, aber besonders auch die Banken selbst haben aus der Finanzkrise gelernt“, hat Olaf Scholz gerade beim Bankentag gesagt – haben sie?

Die Regeln wurden hier und dort etwas verschärft. Aber Finanzkriminalität hat doch nichts damit zu tun, aus Fehlern zu lernen. Die wussten doch bei Cum-Ex alle genau, was sie taten. Die Karussellgeschäfte mit Aktien ergeben ohne den Griff in die Staatskasse gar keinen Sinn und erzeugen nur Kosten. Zu glauben, in einer Welt mit so viel Treibstoff auf dem Finanzmarkt und diesem Renditedruck würden Banker zur Besinnung kommen, ist wie Meditation auf dem Oktoberfest! Aber der Fisch stinkt vom Kopf her. Cum-Ex ist auch ein politisches Problem. In Deutschland unterhielten neben dem SPD-Bundeskanzler auch die FDP und die CDU Verbindungen zur Cum-Ex-Industrie. So beriet der deutsche Cum-Ex-Pate Hanno Berger die FDP und der Oppositionsführer Friedrich Merz saß in Kontrollorganen von Finanzinstituten, die Cum-Ex gemacht haben und war in einer Kanzlei, die um Cum-Ex-Mandanten warb. Die Grünen-Justizminister, Limbach in NRW und Anna Gallina in Hamburg, haben sich anders als etwa der Ex-Finanzminister von NRW, Norbert Walter-Borjans von der SPD, oder der Ex-Landesjustizminister Peter Biesenbach von der CDU nicht hinter die Aufklärung gestellt.

Welchen Hebel halten Sie für am wirksamsten, um die entsprechenden Vorgänge um Olaf Scholz, seinen Nachfolger als Erster Bürgermeister, Peter Tschentscher, sowie die Oberstaatsanwaltschaft Hamburg und die Warburg Bank aufzuklären?

Einerseits das Strafverfahren. Olaf Scholz wird 28-mal in der Anklageschrift gegen den Ex-Warburg-Gesellschafter Christian Olearius erwähnt. Wer weiß, vielleicht muss er noch in den Zeugenstand? Und es gibt eklatante Widersprüche, etwa bei seiner vermeintlichen Erinnerungslücke. So hat er etwa ein Treffen mit dem Bankier, bei dem es um die Rückzahlung der Cum-Ex-Tatbeute ging, auf Grundlage eines vorgetäuschten Kalendereintrages bestätigt. Der Kalendereintrag existierte aber gar nicht. Also muss er das Treffen ja erinnert haben, um es zu bestätigen. Solche Widersprüche würden ihn vor Gericht in Teufels Küche bringen, den Abgeordneten im Hamburger Untersuchungsausschuss waren sie leider nicht aufgefallen. Zudem wird weiter gegen Leute wie den früheren SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs oder die Finanzbeamtin Daniela P. ermittelt, die unter Bezug auf die steuerliche Verjährung der Tatbeute von einem „teuflischen Plan“ sprach. Andererseits braucht es einen Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag und Zugriff auf die Laptops mit der beschlagnahmten Kommunikation von Scholz und Co. Die rot-grüne Mehrheit in Hamburg hat durchgesetzt, dass irgendwelche Mitarbeiter des Arbeitsstabes diese E-Mails vorsortieren und die Abgeordneten keinen Zugang haben. Ein SPD-Mitarbeiter soll den Laptop zwischenzeitlich aus dem Tresorraum verbracht haben. Im Bundestag könnte man hingegen Sonderermittler durchsetzen, etwa Wirtschaftsprüfer, um die Laptops systematisch zu durchkämmen.

Sie treten für das Bündnis Sahra Wagenknecht zur Europawahl an – welche Rolle spielt Europa bei der Ermöglichung und Verhinderung von Finanzkriminalität – und welche sollte es spielen? Würde etwa eine zentrale EU-Behörde zur Strafverfolgung von Finanz- und Steuerverbrechen helfen? Brüssler Bürokratiepower gegen die finanziell und personell gut aufgestellte Finanzlobby?

Ob neue Behörden mal eben so das Problem lösen, bezweifle ich. Natürlich sind Cum-Ex-ähnliche Gestaltungen, insbesondere die sogenannten Cum-Cum-Geschäfte, häufig international. Aber Cum-Ex wurde etwa sehr frühzeitig in den Niederlanden entwickelt. Es gab Warnungen an die deutsche Finanzaufsicht, diese hat aber damals nichts unternommen. Auch hat Deutschland wiederum bei ähnlichen Gestaltungen Dänemark nicht informiert. Es gab womöglich auch das politische Interesse, nach der Finanzkrise hinter dem Vorhang und ohne Kenntnis der Steuerzahler Banken still und leise über diese Geschäfte zu rekapitalisieren. Auch in einer europäischen Behörde können sich daher nationale Widerstände gegen die Bekämpfung von Finanzkriminalität organisieren. Denn europäische Behörden sind auch immer deutsche Behörden, weil Deutschland in Brüssel mächtig ist. Es braucht meines Erachtens daher zunächst Reformen, die den Informationsaustausch erleichtern, etwa im Bereich des Steuergeheimnisses, aber auch mehr politische Unabhängigkeit von Finanzaufsicht oder Staatsanwälten.

Gibt es anderswo in Europa Beispiele, wie man Verbrechen der Art Cum-Ex erfolgreich verhindert?

Das kleine Dänemark hat sein diplomatisches Kapital investiert, um den Cum-Ex-Kriminellen Sanjay Shah aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgeliefert zu bekommen. Denn diese liefern Wirtschaftskriminelle eigentlich nicht aus. Dort soll sich auch Jan Marsalek, neben Russland, zuweilen aufgehalten haben. Ein Rechtshilfeersuchen der deutschen Behörden ist mir dazu nicht bekannt.

Fabio De Masi, 44, war für die Linke zwischen 2014 und 2017 Abgeordneter im Europäischen Parlament, zwischen 2017 und 2021 dann im Deutschen Bundestag. Er hat in Hamburg und Südafrika u.a. Volkswirtschaftslehre studiert und war zuletzt am Financial Innovation Hub der University of Cape Town Forschungsstipendiat. Im Juni tritt er für das BSW zur Europawahl an, im Januar 2025 erscheint sein Buch Geld, Macht, Verbrechen.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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