Rückenschmerzen und „Doomscrolling“: 16 Arten, wie Technik mein Leben ruiniert hat

Digitales Leiden Unser Autor hat einmal eine E-Mail seines Sohnes aus Vietnam ignoriert – er dachte, es sei eine Betrugsmasche. Technik hat unser Leben unberechenbarer gemacht, findet er. Warum schreien seine Altersgenossen nach Wifi-fähigen Wasserkochern?
Schöne neue Digitalwelt
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Foto: Imago

Seien wir ehrlich: Die Technologie hat mein Leben in einer Weise verbessert, die mich immer noch täglich überrascht und erfreut. Mein Telefon ist auch eine Taschenlampe! Mein Fernseher merkt sich, wie weit ich in der letzten Folge gekommen bin, auch wenn ich es nicht tue! Die Bushaltestelle weiß, wann der Bus kommt. Und ich kann den gesamten Weg meiner Pizza vom Restaurant bis zu mir nach Hause verfolgen! Das sind, offen gesagt, Wunder. Aber es gab auch entsprechende Entbehrungen.

Im Laufe von 20 Jahren habe ich viel Gedächtnis, Kompetenz, Autorität und Unabhängigkeit an Maschinen abgegeben. Im Laufe der Zeit habe ich mir Sorgen über Probleme gemacht, die es früher nicht gab, war unentschlossen bei Entscheidungen, die ich früher nie zu treffen brauchte, und habe mich über Dinge geärgert, die mir früher völlig unbekannt waren. Es gibt wahrscheinlich Hunderte Beispiele dafür, wie Technologie mein Leben ruiniert hat. Hier sind 16 von ihnen.

1. Technik ruiniert meine Konzentration

Eine Umfrage des Centre for Attention Studies aus dem Jahr 2022 ergab, dass 49 Prozent der Erwachsenen glauben, dass ihre Aufmerksamkeitsspanne geschrumpft ist – eine Folge all der Ablenkungen, die uns auf unseren Telefonen und Computern zur Verfügung stehen. Jeder Gedanke führt jetzt zu 20 Minuten halbherziger Recherche, die mich in digitale Rabbitholes ziehen. Zwischendurch werde ich von pingenden Benachrichtigungen belagert, die das Eintreffen einer E-Mail oder den Tod eines älteren Schauspielers verkünden. Als wäre ich ein Angehöriger! Vor allem Duolingo verfolgt mich mit der Hartnäckigkeit eines Gerichtsvollziehers. Manchmal unterbricht es meine Italienischstunden, um mich daran zu erinnern, dass ich eine Italienischstunde nehmen soll. Wahrscheinlich kann ich deshalb auch nach fünf Jahren Lernen mit der App immer noch keinen Kaffee in Rom bestellen.

2. Technik ruiniert meine Körperhaltung

Ich spürte, wie sehr es mir schadete, den ganzen Tag vor dem Bildschirm zu sitzen. Also habe ich mir einen Standing-Desk gekauft, damit mein Computer höher steht und ich nicht mehr krumm sitzen muss. Aber dann kam das nächste Problem auf mich zu: Ich legte mir eine Gleitsichtbrille zu, was bedeutete, dass ich meinen Hals krumm machen und mein Kinn herausstrecken musste, um den Bildschirm durch die untere Hälfte meiner Brille zu lesen. Mittlerweile habe ich die Körperhaltung eines Fragezeichens. Meine Gesundheit leidet sichtlich unter der Technik. Einmal habe ich sogar versucht, einen Wecker zu stellen, der mich daran erinnert, den Computer in bestimmten Abständen zu verlassen. Aber stattdessen wurde ich von dem Surren bloß aufgeweckt.

3. Ich muss ständig beweisen, dass ich kein Roboter bin

Andauernd muss ich auf Bilder mit Ampeln klicken, um mich als legitimer menschlicher Anfrager zu qualifizieren. Sogar, wenn ich nur auf der Suche nach Ersatz-Geschirrspülerrädern bin! Jeder Tag ist ein Turing-Test – und ich bestehe ihn nicht immer.

4. Diese ständigen Zoom-Sitzungen!

Früher konntest du sagen: „Freitag? Tut mir leid, ich bin am Freitag in der Antarktis.“ Aber dank Zoom, Google und FaceTime gibt es einfach keine vernünftige Ausrede mehr, um nicht zu einer Besprechung zu erscheinen. Außerdem können Sie sich die ganze Zeit das Bild Ihres eigenen Gesichts ansehen, um genau sehen zu können, wie gelangweilt Sie sind.

5. Ich bin nicht mehr in der Lage, mich in Kneipen zu streiten

Ich kann mich an eine Zeit erinnern, in der es als unhöflich galt, die sachliche Richtigkeit einer Aussage eines Trinkkumpanen zu überprüfen. Man sollte nur deren Argumente mit eigenen fadenscheinigen Fakten kontern. Aber wenn jeder das Bruttoinlandsprodukt jedes Brics-Landes zur Hand hat, scheint eine lebhafte Debatte wenig Sinn zu machen. Am Ende verbringt man den ganzen Abend damit, Dinge nachzuschlagen und zu sagen: „Hm.“ Wenn man sich heutzutage in einem Umfeld, in dem die Benutzung von Handys verboten ist, über obskure Fakten streiten will, muss man ins Gefängnis gehen. Oder man macht ein Kneipenquiz. So oder so, es ist kein Leben.

6. Es fällt mir immer schwerer, den „On“-Knopf zu finden

Vielleicht kennen Sie das Gefühl, sich an einem fremden Flughafen hinter das Steuer eines Mietwagens zu setzen, auf das Armaturenbrett zu starren und sich zu fragen: Wie bringe ich dieses Auto zum Laufen? Oder Sie haben sich in einer ungewohnten Dusche oder vor einer scheinbar gewöhnlichen Herdplatte einer ähnlichen Überlegung gestellt. Die unaufhaltsame Entwicklung neuer Möglichkeiten, Dinge einzuschalten, hat uns immer weiter weg vom Intuitiven und hin zum Rätselhaften geführt. Neulich fand ich mich allein in einem eiskalten Schlafzimmer mit einem elektrischen Heizkörper wieder, den ich nicht bedienen konnte. Schließlich musste ich ihn auf den Kopf stellen, um die Modellnummer herauszufinden, damit ich online eine PDF-Datei mit der Bedienungsanleitung finden konnte. Dabei wollte ich doch nur, dass er heiß wird!

Seltsamerweise ist die virtuelle Welt voller altmodischer mechanischer Emulatoren – animierte Tasten, die ein Klickgeräusch von sich geben; Knöpfe und Schieberegler, die man mit dem Mauszeiger bedienen kann –, während in der realen Welt die Bedienelemente auf flache schwarze Tafeln reduziert wurden, die mit undurchschaubaren Symbolen bedeckt sind: eine Mondsichel; ein Blitz; ein Kreis mit einem Buchstaben darin. Ich weiß, wie alt ich mich anhöre, wenn ich solche Dinge sage. Aber ich kann nicht glauben, dass die jungen Leute von heute nach Wifi-fähigen Wasserkochern schreien …

7. Ich habe jetzt ungefilterten Zugang zu den Meinungen von Dummköpfen

Technologie ermöglicht es mir nicht nur, herauszufinden, was dumme Menschen denken; sie kuratiert jetzt ihre Gedanken und serviert sie mir täglich, als ob ich eine Art Kenner der Idiotie wäre. Ich kann mich ehrlich gesagt nicht erinnern, dass ich darum gebeten hätte.

8. Dummköpfe haben jetzt ungefilterten Zugang zu den Meinungen anderer Dummköpfe

Es gab einmal eine Zeit, in der die so genannten „Gatekeeper“ der traditionellen Medien den Informationsfluss durch enge, einseitige Kanäle einschränkten. Jetzt haben dumme Menschen ihre eigenen Medien, in denen sie frei über ihre dummen Ideen diskutieren und sich gegenseitig bekräftigen können. Leider war dies nicht die uneingeschränkte Kraft des Guten, die wir uns erhofft hatten.

9. Ich bin nachweislich schlechter im Tippen als vor zehn Jahren

Ich war nie eine gute Schreibkraft. Aber seit Textverarbeitungsprogramme meine Fehler korrigieren, habe ich ein falsches Vertrauen in meine Fähigkeiten entwickelt. Wenn diese Funktion aus irgendeinem Grund dann mal nicht verfügbar ist, tippe ich wie jemand, der gerade einen Schlaganfall gehabt hat.

10. Ich „doomscrolle“

„Doomscrolling“ nennt man das, wenn man eine grauenhafte Nachricht nach der anderen liest. Jeder macht das bis zu einem gewissen Grad – schlechte Nachrichten sind einfach fesselnder als gute. Aber für mich ist es von einem leichten Zwang zu einem Vollzeitjob geworden.

11. Ich lebe in der Angst, betrogen zu werden

Wenn es um Lieferbenachrichtigungen für Dinge geht, an deren Bestellung ich mich nicht erinnern kann, um Mitteilungen meines Mobilfunkanbieters, um QR-Codes und alles, was mich auffordert, auf einen Link zu klicken, bin ich zutiefst misstrauisch. Ich gehe davon aus, dass Texte von meiner Bank über betrügerische Aktivitäten selbst betrügerisch sind. Einmal habe ich sogar eine echte E-Mail meines Sohnes ignoriert, in der er mitteilte, dass er sein Telefon verloren habe und mich bat, eine SMS an eine ausländische Nummer zu schicken. Er war zu der Zeit allein in Vietnam und ich dachte: „Netter Versuch, Drecksack.“

12. Ich soll mir ständig neue Passwörter merken

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn mir geraten wird, Passwörter nicht aufzuschreiben, nicht immer dasselbe Passwort zu verwenden und sie regelmäßig zu ändern, nicke ich und sage: „Natürlich“, aber ich denke: „Soll das ein Witz sein?“ Ich schreibe mir alle meine Passwörter auf, verwende so wenige wie möglich und ändere sie nur, wenn ich dazu gezwungen bin. Für mich ignorieren alle anerkannten Weisheiten über Passwörter einen wichtigen Punkt: Ein Passwort nützt mir nichts, wenn ich es nicht kenne. Genauso gut könnte ich jedes Mal auf „Passwort vergessen?“ klicken, ein neues festlegen und es dann sofort wieder vergessen. (Das mache ich übrigens auch.)

13. Ich muss alles googlen, bevor ich ankomme

Früher galt es als creepy, jemanden zu googeln, bevor man sich mit der Person traf. Heute scheint es unhöflich zu sein, dort aufzutauchen, ohne etwas über die Person zu wissen. Man sollte auch über die Dinge informiert sein, die man sehen und tun wird, über die Orte, an denen man essen gehen könnte, und über die wahrscheinlichen Transportwege. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin gerne vorbereitet; ich möchte nur nicht die Speisekarte eines Restaurants lesen, bevor ich das Haus verlasse.

14. Ich hasse die digitale Unordnung

Zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Textes habe ich 77 Registerkarten in meinem Browser geöffnet. Jeden Morgen muss ich mich durch Sedimentschichten offener Dokumente wühlen, um das gewünschte zu finden. Man könnte meinen, dass all diese virtuelle Unordnung – ordentlich auf einen schlanken Laptop beschränkt – immer noch besser ist als ein unordentlicher Schreibtisch. Aber mein Schreibtisch ist auch unordentlich, und die Wände um ihn herum sind mit Post-it-Zetteln bedeckt.

15. So sehr ich die Technik auch ablehne, ohne sie bin ich hilflos

Selbststimmende Gitarren, programmierbare Cocktailmixer: Manche Erfindungen machen regelrecht abhängig. Aber wir werden erst dann wirklich daran erinnert, wie viel Territorium wir bereits an die Technologie abgetreten haben, wenn sie kaputt geht. Es geht nicht nur darum, dass ich die erforderlichen Fähigkeiten verloren habe, sondern auch darum, dass ich mich nicht einmal mehr an den Prozess erinnern kann. Wie habe ich mich früher zurechtgefunden? Wie habe ich herausgefunden, was ich im Fernsehen sehen wollte? Da muss es doch Systeme gegeben haben.

16. Auch der Rest der Welt ist ohne sie hilflos

Im Dienste des Journalismus habe ich mich gelegentlich bestimmten technologischen Entbehrungen unterworfen: eine Woche ohne Smartphone, einen Monat ohne Google und dergleichen mehr. Und ich kann Ihnen sagen, dass sich die Welt in der Regel weigert, sich auf das Experiment einzulassen, wenn man auf moderne Technologie verzichtet. Das merkt man spätestens dann, wenn einem jemand hinter einem Fahrkartenschalter in die Augen schaut und sagt, man solle einfach die App herunterladen.

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Geschrieben von

Tim Dowling | The Guardian

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