Konfliktregulierung: Die Methode Einfrieren ist besser als ihr Ruf

Frieden schaffen Zypern, Transnistrien, Abachasien oder Südossetien: Orte, die zeigen, dass es durchaus möglich ist, Konfrontationen einzudämmen – so weit, dass die Konflikte ohne Krieg ausgetragen werden können. Und in der Ukraine?
Ausgabe 19/2024
Ukrainischer Soldat an der Front: Das Einfrieren eines Kriegs kann zahllose Menschenleben retten
Ukrainischer Soldat an der Front: Das Einfrieren eines Kriegs kann zahllose Menschenleben retten

Foto: Picture Alliance/AA/Diego Herrera Carcedo

Mitte März regte der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich im Bundestag an, über ein Einfrieren des Kriegs in der Ukraine nachzudenken statt sich ausschließlich mit militärischen Optionen zu befassen. Ihm schlug ein politischer und medialer Sturm der Entrüstung entgegen. Zwei Monate und die Verabschiedung eines 61-Milliarden-Dollar-Unterstützungspakets durch den US-Kongress später wächst die Befürchtung bei den Befürwortern eines ukrainischen Sieges – verstanden als Rückeroberung aller von Russland eingenommenen Gebiete –, dass dies auf absehbare Zeit wohl nicht mehr realistisch ist.

Statt Siegesgewissheit kursieren Untergangsfantasien, aus denen höchste Gefahr für das mit Abstand stärkste Militärbündnis der Welt abgeleitet wird. Angesichts dieses Debattenverlaufs könnte man glauben, es gäbe nur eine Wahl zwischen Schwarz und Weiß. Demgegenüber wäre ein Einfrieren des Kriegs weder das eine noch das andere. Es würde keine Ideallösung sein, dazu risikoreich und kostenintensiv, gleichwohl allemal besser als das Fortsetzen des Sterbens.

Zwischenlösung zwischen Krieg und Frieden

Einen Gewaltkonflikt einfrieren, heißt zunächst einmal nichts anderes, als eine militärische Konfrontation zu beenden, ohne dass der Konflikt an sich endgültig gelöst wird. Es handelt sich vielmehr um eine Zwischenlösung zwischen Krieg und Frieden, der die Option zugrunde liegt, dank diverser Maßnahmen einen stabileren Zustand zu erreichen. Bestenfalls kann der einen belastbaren Frieden fördern, schlimmstenfalls in kriegerische Zustände zurückfallen.

In der Geschichte gibt es viele Beispiele für eingefrorene Konflikte. Allein der Zerfall der Sowjetunion 1991 ging mit mehreren ethno-territorialen Zerreißproben einher. Die Protagonisten hatten oft unvereinbare politische und territoriale Vorstellungen. Da keine Seite siegen konnte, wurden die Konflikte häufig eingefroren, zumeist mithilfe externer Akteure, seien es Staaten oder internationale Organisationen.

Abchasien und Südossetien

So geschah es mit Abchasien und Südossetien, als die sich Anfang der 1990er Jahre von Georgien trennten und der Schutzmacht Russland anvertrauten, die heute als eine von nur vier Staaten die Republik Abchasien anerkennt. Das überwiegend russischsprachige Transnistrien spaltete sich 1990 von der Republik Moldau ab. Es wird ebenfalls von Moskau unterstützt, aber bislang durch keinen anderen Staat anerkannt.

Der aserbaidschanisch-armenische Territorialstreit um Bergkarabach galt seit 1994 als eingefrorener Konflikt. 2023 gelang es Baku, mit Unterstützung der Türkei, das armenisch kontrollierte Gebiet zurückzuerobern und den Konflikt in seinem Sinne zu beenden. Die Bemühungen der 1994 auf dem Budapester OSZE-Gipfel eingesetzten Karabach-Vermittlergruppe aus den USA, Russland und Frankreich hatten erst mit Beginn des Ukraine-Krieges ausgedient.

UN-Blauhelme zwischen den zwei Teilen Zyperns

Schließlich ist auch die seit 1974 schwelende Zypernkrise ein eingefrorener Konflikt innerhalb der EU. Nach dem fehlgeschlagenen Versuch griechischer Putschisten, die Insel zu vereinnahmen, besetzten türkische Truppen den Nordteil. 1983 wurde die Türkische Republik Nordzypern proklamiert. Internationale Bemühungen, das Problem zu lösen, blieben erfolglos, sodass noch heute UN-Blauhelme in der Pufferzone zwischen beiden Landesteilen stehen.

Was heißt das nun für die Ukraine, auf deren Territorium seit 2014 mit der russisch annektierten Krim und den ostukrainischen Gebieten Donezk und Luhansk auch zwei mehr oder weniger eingefrorene Konflikte existierten? Die skizzierten Beispiele zeigen: Das Einfrieren von Konflikten ersetzt keine dauerhafte Regelung. In Georgien hat der Versuch, im Sommer 2008 verlorene Gebiete zurückzuerobern, dazu geführt, die Sezession zu verfestigen. In Bergkarabach kam es mit dessen Rückeroberung durch Aserbaidschan zum Gegenteil. Im Zypernkonflikt wiederum herrscht ein stabiler Status quo. Auch wenn jeder Fall seinen eigenen Kontext hat, ist ihnen allen gemein, dass die Akteure in der Phase des Nichtkriegs weniger oder keine Kriegstoten zu beklagen und zumindest die Chance hatten bzw. haben, mit einem stetig gärenden Konflikt gewaltfrei umzugehen.

Einfrieren ist allemal besser als schießen

Für die Parteien im Ukraine-Krieg hieße das, nicht jeden Tag wären Hunderte Gefallene und Verletzte zu beklagen, die Zerstörung von Gebäuden und Infrastruktur würde enden, Wiederaufbau könnte beginnen, dazu ein politischer Prozess, in dessen Verlauf stabilere Regelungen gefunden werden müssten als mit den gescheiterten Minsk-Abkommen zuvor. Das mag angesichts der aktuellen Unwilligkeit der Protagonisten, sich an einen Tisch zu setzen, wie Tagträumerei klingen. Doch wenn es stimmt, dass keine der beiden Seiten in der Lage ist, den Krieg militärisch zu gewinnen, kann der Tag gar nicht so fern sein, von dem an ein Waffenstillstand gelten würde.

Sollte es dazu kommen, wäre es bereits ein großer Fortschritt, wenn dieser länger andauert. Die Lage würde demnach in der Erwartung eingefroren, sie zu stabilisieren. Das wäre noch lange kein Frieden, aber immer noch besser als eine Fortsetzung des Krieges, denn einfrieren ist allemal besser als schießen.

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