Tesla-Gigafactory: Grünheide verpasst Elon Musk einen Schuss vor den Bug

Wirtschaft Eine Bürgerbefragung in Brandenburg endet mit klarem Ergebnis: Eine Mehrheit ist gegen den Ausbau der Gigafactory des Elektroauto-Konzerns Tesla in Grünheide. Der Umgang mit dem Votum wird ein Fingerzeig sein für den Stand der Demokratie
Tesla will mehr Platz für seine Elektroauto-Produktion in Grünheide, eine Mehrheit der Bürger ist dagegen.
Tesla will mehr Platz für seine Elektroauto-Produktion in Grünheide, eine Mehrheit der Bürger ist dagegen.

Foto: Jochen Eckel/Picture Alliance

Das lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: 3.499 Einwohner der Gemeinde Grünheide in Brandenburg haben gegen den Ausbau der Fabrik des Elektroauto-Konzerns Tesla gestimmt, nur 1.882 dafür. Und das bei einer Beteiligung von 75,2 Prozent – ein enormer Wert für eine „Einwohnerbefragung“, bei der alle Einwohner ab dem Alter von 16, die seit mindestens drei Monaten ihren Wohnsitz in der Gemeinde haben, abstimmen durften.

Denn diese Befragung ist nicht bindend – die Kommunalpolitik hat sich lediglich bei ihren Bürgern ein Stimmungsbild geholt, zur konkreten Frage: „Sollen weitere 100 Hektar Wald (im Landschaftsschutzgebiet) in der Gemarkung Grünheide (Bebauungsplan Nr. 60) in eine Industriefläche umgewandelt werden, die für Logistik, Lagerhaltung und soziale Gebäude genutzt wird?“ Die Hoheit über die Entscheidung zum Ausbauantrag für Teslas „Gigafactory“ bei Grünheide bleibt bei ihr.

Wirtschaftsminister im Gigafactory-Shirt in den USA

Wenn aber die auf diese Befragung Antwortenden ihr Votum so klar zu verstehen geben, bringt das die Kommunal- und die Landespolitik in Brandenburg arg in die Zwickmühle – befürworten die Regierenden doch diese Industrieansiedlung und ihre Erweiterung. Eine in und um Grünheide (Mark) weit verbreitete Annahme ist, dass der Tesla-Ausbau sowieso genehmigt werden wird – wenn nicht in der bisher vorgesehenen Form, dann in einer leicht abgewandelten. Schließlich posierte etwa Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) schon im Gigafactory-Shirt, als er 2023 die Fabrik des Elon-Musk-Konzerns in Texas in den USA besuchte.

Ein solches, nicht unwahrscheinliches Vorgehen wäre ein Schlag ins Kontor der Demokratie, wie er, wann immer Fragen der Wirtschaft berührt sind, allzu bekannt ist – man muss sich für ein Beispiel von Grünheide aus nur 35 Kilometer westwärts bewegen, an die Grenze der Stadtteile Friedrichshain und Kreuzberg in Berlin. Im Sommer 2008 stimmten bei einer Beteiligung von 19 Prozent (nötig: 15 Prozent) bei einem Bezirks-Bürgerentscheid 87 Prozent gegen das Investoren-Städtebauprojekt „Mediaspree“, wie es die Gegend zwischen Elsenbrücke und Ostbahnhof entlang der Spree heute in all seiner Unwirtlichkeit prägt.

Das Beispiel „Mediaspree“ in Berlin

Berlins Senate, insbesondere der damalige rot-rote unter Klaus Wowereit (SPD) als Regierendem Bürgermeister, erklärten die Büroturm- und Kommerzialisierungträume der privaten Investoren für von gesamtstädtischer Bedeutung, zogen die Planungshoheit an sich und sorgten, abgesehen von kosmetischen Änderungen durch den grün regierten Bezirk, für die Umsetzung der Wünsche des Kapitals. Das Ergebnis lässt sich heute entlang des ehemaligen Mauerstreifens, der heutigen East Side Gallery, besehen: Kommerzialisierte, videoüberwachte, wie geleckt saubere, betonierte Ödnis, Leuchtreklame allenthalben, teure Entertainment-Hallen und Restaurant-Ketten, Büros internationaler Konzerne, deren Mitarbeiterinnen oft im Homeoffice weilen, für Normalverdiener unerschwingliche Luxus-Appartments – genau das, wovor die Initiatoren des Bürgerentscheids gewarnt hatten.

In Grünheide dominiert in der Kommunalpolitik eine große Koalition der Tesla- und Ausbau-Befürworter aus SPD, Linken und CDU, während die scharfe Kritik der AfD und die kritische Begleitung einem Bürgerbündnis vorbehalten bleibt.

Unter Grünheider Bürgern, die gegen den Ausbau gestimmt haben, ist vor allem die Sorge um das betroffene Landschaftsschutzgebiet, den Trinkwasserschutz, aber teils auch Ärger über den im logistischen Interesse Teslas gelegenen Umzug und Neubau des nahe der Fabrik gelegenen Bahnhofs Fangschleuse verbreitet. Dies nicht ernst zu nehmen, würde der Geschichte der um wirtschaftliche Belange „halbierten Demokratie“ ein weiteres Kapitel hinzuzufügen.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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