Grüne Gentechnik: Ein Geschenk für die Agrarkonzerne. Keines für die Verbraucher

Meinung Ulrike Baureithel sieht die EU-Lockerung für grüne Gentechnik kritisch. Die Ökobauern fürchten um ihre Produkte und ihre zunehmende Abhängigkeit von den Saatgutkonzernen
Ausgabe 07/2024
Protest bei der „Wir haben es satt“-Demonstration in Berlin
Protest bei der „Wir haben es satt“-Demonstration in Berlin

Foto: Stefan Müller/Pic One/picture alliance

Es gibt viel Aufregung um die Bauern und die Landwirtschaft. Erst legten Bauern mit ihren riesigen Traktoren wochenlang nicht nur die Hauptstadt lahm, um gegen Subventionsabbau zu protestieren. In deren Windschatten demonstrierten zur Grünen Woche Ökobauern und Umweltverbände für eine sozial gerechte Agrarwende, die mit dem von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Grüne) geplanten Fleisch-Cent kaum zu stemmen ist. Und vergangene Woche übergab die Allgäuer Biobäuerin Bärbel Endraß vom Aktionsbündnis gentechnikfreie Landwirtschaft dem EU-Parlament in Straßburg eine Petition mit 92.000 Unterschriften, in der scharf gegen die Lockerung des europäischen Gentechnikrechts protestiert wird. Selten sind die widersprüchlichen landwirtschaftlichen Interessen so nachdrücklich zu Tage getreten.

92 Prozent wollen Kennzeichnung genomischer Techniken

Mit ihrer Petition weiß sich die Biolandwirtschaft einig mit der großen Mehrheit der Verbraucher:innen. 92 Prozent wünschen sich nach einer Umfrage aus dem vergangenen September, dass Lebensmittel, die mittels neuer genomischer Techniken (NGT) produziert werden, gekennzeichnet bleiben. Wahlfreiheit ist das Schlagwort gerade auch beim Genuss, und Gentechnik im Magen fühlt sich für die meisten immer noch gefährlich an, auch wenn sie nicht zu schmecken ist.

Die EU-Kommission dringt allerdings seit Längerem darauf, das seit 2001 geltende Gentechnikrecht zu lockern und Lebens- und Futtermittel, die etwa durch die Genschere Crispr-Cas hergestellt werden, auf europäischen Äckern auszubringen. Der Agrarlobby gefällt das, allen voran dem unter Druck stehenden Bayer-Konzern, aber auch 37 Nobelpreisträgern, die sich im Namen der Welternährung in einem offenen Brief dafür stark gemacht haben.

Zwei NGT-Kategorien

Ein seit Juli 2023 vorliegender Kommissionsvorschlag sah zwei Kategorien von NGT-Pflanzen vor: Solche mit mehr als 20 Genveränderungen, die streng kontrolliert werden sollten. Und solche, an denen „nur“ 20 gentechnische Veränderungen vorgenommen wurden, was mit völlig gentechnikfreien Pflanzen gleichgestellt werden soll.

Unter Kategorie zwei würden 94 Prozent der NGT-Pflanzen fallen, sie wären im Supermarkt nicht erkennbar. Es gäbe keine umfassende Risikoprüfung bei der Zulassung mehr, die Ökolandwirtschaft müsste mit der Verunreinigung ihrer Äcker rechnen. Wettbewerbsfähigkeit schlägt Wahlfreiheit.

Am 7. Februar entschied das EU-Parlament nun, den Kommissionsvorschlag zu übernehmen. Mit Einschränkungen. Ein von Grünen und Sozialisten eingebrachter Änderungsantrag zur Kennzeichnung und Rückverfolgung wurde immerhin aufgenommen. „Einen Lichtblick“, nennt das der grüne Verhandlungsführer Martin Häusling. Gemessen an dem, was auf dem Spiel steht, eher Kosmetik. Entschieden wird in Verhandlungen mit dem Rat wohl ohnehin erst nach der Europawahl – mit ungewissem Ausgang.

Landwirte abhängig von Saatgutkonzernen

Die konventionell wirtschaftenden Bauern hoffen auf schnellere, präzisere und anpassungsfähige Züchtungen. Um mehr geht es bei der Klimakrise ja nicht mehr. Die Ökobauern fürchten um ihre Produkte und ihre zunehmende Abhängigkeit von den Saatgutkonzernen. Wir alle müssen wohl noch genauer schauen, was wir kaufen.

Und die Welternährung? Seit Langem kann man in Südamerika beobachten, welche katastrophalen Auswirkungen der Einsatz von NGT-Pflanzen hat: Er erhöht die Abhängigkeit der Bauern von den Saatgutkonzernen und treibt sie in die Armut.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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