Mashup 2.7: Der Schwermetall-Report

Rockmusik Zu laut, zu machistisch, zu satanisch: An Metal scheiden sich bis heute die Geister. Hier die Faktenbasis zur Diskussion – von Black Sabbath bis hin zu Marilyn Manson

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Robert Trujillo and Kirk Hammett (Metallica) bei einem Auftritt in Sao Paolo, Brasilien
Robert Trujillo and Kirk Hammett (Metallica) bei einem Auftritt in Sao Paolo, Brasilien

Foto: Mauricio Santana/Getty Images

Wie viele Menschen hören heutzutage noch Rockmusik? Die Antwort: Mehr als ein paar tausend schon – allerdings deutlich weniger als noch vor zehn oder gar zwanzig Jahren. Die Tatsache, dass Rockmusik und ihre Fans mit den Jahren nicht jünger geworden geworden sind, löste vor einigen Jahren sogar in den Feuilletons großer Medien mittelschwere Besorgnis aus. Der Anlass: 2017 hatte das Marktsegment HipHop/RnB den langjährigen Klassenführer erstmals überrundet. Vakant wurde dadurch allerdings nur eine Sinnkrise, die bereits seit längerem vor sich hinköchelt. Überalterte Konzertbesucher(innen), überalterte Acts, von denen nur noch drei Dutzend Dinosaurier Stadien zu befüllen vermögen, die letzte echte Innovation im vergangenen Jahrtausend – da kann man schon ins Grübeln kommen. Zumal sich auch die Helden, siehe den »Verstorben«-Kasten auf der Wikipedia-Hauptseite, fast im Wochenturnus final von uns verabschieden.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer bleibt: Ein Subgenre nämlich, die Heavy-Metal-Musik oder kurz: Metal, hält sich bemerkenswert beständig. Zu den Stadion-befüllungsfähigen Acts zählen unter anderem einige aus der ersten Liga des Metal: Iron Maiden (ever), Metallica natürlich, und auch die Neunzigerjahre-Dinosaurier von Mötley Crüe bekamen 2020 von Netflix einen Biotic-Film spendiert. Ist der Metal das letzte Reservat widerständiger Rock’n’Roll-Renitenz – von Rebellion, Protest gegen gesellschaftliche Konventionen gar? Ganz so einfach ist es nicht. Zuerst einmal ist es nicht ganz einfach, sich in diese schwere, in vielerlei Hinsicht geheimnisvolle und unverständliche Welt einzuwuseln. Die Vielfalt der Sub-Stile ist legendär – kaum ein anderes Genre kann so viel Spezialabzweigungen vorweisen wie der Metal. Glücklicherweise hat Radio Rock-Antenne 2020 einen Jingle produziert, der diesbezügliche Fragen rückstandsfrei beantwortet. Betrachte man Sound und Texte des Metal als Biest, stellten sich die Unterschiede wie folgt dar: Classic-Metaler akzeptieren, dass es ein Biest gibt und finden das okay, Thrash-Metaler töten das Biest, Death-Metaler SIND das Biest, Gothic-Metaler verehren es, Black-Metaler sind seine Diener und Glam-Metaler schließlich sind zu betrunken, um sich für das Biest sonderlich zu interessieren.

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Bis heute nicht einhellig geklärt sind die Fragen seiner Entstehung. Einigkeit herrscht gemeinhin darüber, dass der Metal – zunächst Heavy Metal, später einfach Metal – sich aus dem Hardrock der End-Sechziger und Anfangs-Siebziger herausentwickelte, um ab Ende der Siebziger eigene Wege zu gehen. Als Paten des Genres gelten Bands wie Steppenwolf, Led Zeppelin, Deep Purple und Black Sabbath. Ob Formationen wie AC/DC, Kiss, Van Halen und Guns’n’Roses noch Hardrock sind oder bereits zum Metal gehören, darüber scheiden sich bis heute die Geister. Dauerhaft ins Genre eingemeindet wurden zwei Bands aus jener Phase: Black Sabbath, bekanntgeworden durch ihren 1970er-Hit Paranoid, und Motörhead (siehe Clip oben). Richtig schwermetallig wurde es dann Ende der Siebziger – mit den Bands des sogenannten New Wave of British Heavy Metal. Auf die klassische, heute unter Bezeichnungen wie Heavy Metal oder auch Classic Metal firmierende Phase folgten in den Achtzigern und Neunzigern Richtungen wie Thrash-, Speed- und Glam-Metal. Da diese sich – mit der Ausnahme Glam Metal – auch musikalisch vom althergebrachten Heavy Metal deutlich unterscheiden, favorisiere ich eine Überblicksweise ähnlich wie dem beim Jazz: auf Traditionell folgt Modern, auf Modern Free und auf Free schließlich die Allround-Schublade »Divers«. In Lautstärke-Begrifflichkeiten: ziemlich hart, total hart, nicht-mehr-richtig-mit-Genuss-hörbar-hart und schließlich alles, was heute im Genre mitmischt und sich in die ersten drei Schubladen nicht einsortieren lässt.

Härtestufen eins und zwei

Wer ins Metal-Metier einsteigt, muß sich erst mal durch das einschlägige Hardrock-Vorfeld durchbewegen. Highway to Hell von AC/DC, veröffentlicht 1979, gilt bis heute als stadiontauglicher Klassiker des Metiers. Aber ist das bereits Metal? Fans werden die Frage pragmatisch beantworten – ähnlich wie bei Guns’n’Roses und ihrem ein Jahrzehnt später auf den Weg gebrachten Erfolgstitel Welcome to the Jungle. Auf den ersten Blick bietet der verlinkte Live-Clip aus dem Jahr 2009 zwar alles, was eine zünftig-exzessive Darbietung beinhaltet – hoher, schriller Gesang, Rock’n’Roll-Ekstase, Feiern bis zum Abwinken. Was allerdings fehlt, ist das sprichwörtliche Biest – die zelebrierte Gegenwelt, das Eskapistische, das Irrationale. Auf den Punkt gebracht: AC/DC-Fans wollen ordentlich einen losmachen, gern auch über die Stränge schlagen – das zum Metal gehörende Setting allerdings wird dabei nicht unbedingt benötigt. Ähnliches könnte man auch über Motörhead sagen. Die 1975 gegründete und vierzig Jahre später nach dem Tod von Bassist/Sänger Lemmy Kilmister aufgelöste Formation hatte zwar stets nie mehr Anspruch als den, die »härteste Rock’n’Roll-Formation der Welt« zu sein. Anders als AC/DC, die bis heute eher am Rand der Metal-Welt stehen als mittendrin, gehören Kilmister und seine zwei Mitstreiter bis heute zu den Essentials des Genres.

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Wie man es auch dreht und wendet: Der echte, wahre und wirkliche Metal (damals noch: Heavy Metal) kam erst Ende der Siebziger richtig in die Gänge. Eine der wesensbildenden Formationen war Judas Priest. Ebenso wie Black Sabbath kamen auch Judas Priest aus der mittelenglischen Stahlstadt Birmingham. Den Einfluss der Stahlindustrie auf das Leben der dort wohnenden Arbeiterbevölkerung und letztlich ihre Musik betonen beide Formationen bis heute. Zusammen mit Iron Maiden war Judas Priest das Flaggschiff des New Wave of British Heavy Metal – also der bis heute als »klassisch« geltenden Metal-Variante. Das Setting des klassischen Metal war mit diesen Bands in trockenen Tüchern. Kennzeichen: hoher, druckvoller Gesang, schnelle, laute, oft an der Grenze zur Tremolation angesiedelte Gitarren, handwerklich sitzender Sound – dabei aber stets: Konsistenz in der Stück- und Melodieführung. Anders gesagt: Die Heavy-Metal-Bands der ersten Stunde mochten sich vom Bluesrock-Schema alter Machart ein gutes Stück wegbewegt haben. Die typische Rockstück-Struktur jedoch blieb – wenn auch nun metalmäßig aufgedonnert und mit erhöhter Schnelligkeit und Lautstärke.

Dem »alten« Metal zurechnen lässt sich schließlich eine Richtung, die sich von den britischen Bands lediglich im Hinblick auf Exzesse, verkonsumierte Kokainline-Kilometer und Ähnliches unterschied. Musikalisch-darbietungstechnisch kommen Glam-Metaler wie Mötley Crüe aus Los Angeles letztlich rüber wie eine aufgebohrte Version von Kiss. Die forciert in Szene gesetzten Tabubrüche nahmen entsprechende Eigen-PR-Maßnahmen im Rap vorweg. Gleichzeitig vertieften sie das sowieso schon eher schlechte Image der Metal Musik. Im Rückblick besichtigen lassen sich die wilden Jahre in Los Angeles im Film The Dirt. Gedreht von Jackass-Macher Jeff Tremaine, zeichnet er das Bild einer Band, deren Mitglieder vor allem eines unter Beweis stellen möchten: dass sie nicht gerade die hellsten Kerzen auf der Geburtstagstorte sind. Einen Peinlichkeits-Ausrutscher eigener Art tätigten die Paradevertreter des Glam Metal Anfang 2017. So glaubte die Band, den Gig anlässlich der Inauguration des künftigen US-Präsidenten fest in der Tasche zu haben – unabhängig davon, ob Clinton das Rennen machen würde oder aber Trump. Als die Republikaner den Glammetal-Boliden von der Westcoast dann eine Absage erteilten, war das Unverständnis groß. Mötley Crüe wollten schließlich nur spielen – was konnte daran nur verkehrt sein?

Härtestufe drei

Die neueren Formen des Metal unterscheiden sich von den älteren vor allem in drei Punkten: konsequent durchgezogene Atonalität, Texte, die sämtliche härtetechnischen Register ziehen und – ebenfalls markant und auffällig – Tempowechsel manchmal von hundert auf Null und wieder zurück. Anders gesagt: Thrash-, Speed-, Death- und Black Metal sind in hohem Maß atonal. Es liegt nicht nur am bösen oder auch guten Willen: Teilweise erreicht der Sound Schnelligkeits- und Lautstärke-Pegel, dass normaler Gesang schlechterdings nicht mehr möglich ist. Entsprechend werden die Text-Statements herausgeschrien, herausgestoßen. Etwas unübersichtlich wird es in der Liga auch politisch. Einige Acts stehen eher politisch linken Positionen nahe: etwa Napalm Death, Henry Rollins oder insgesamt die Straight-Edge-Richtung – eine Metal-Variante, die ursprünglich aus dem Punk kommt und sich musikalisch mit Hartgewitter-Gitarren aufmunitioniert hat. Während in der Black-Metal-Richtung das Pegel zwischenzeitlich deutlich nach rechts ausschlug und Überschneidungen zur neonazistischen Rechtsrock-Szene virulent sind, beschränken sich andere Richtungen wie der Death Metal auf möglichst plastische Beschreibungen imaginierten und auch echten Grauens.

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Paradigmisch für die extremeren Metal-Varianten ist die Band Cannibal Corpse von der US-Ostküste. Wer sich nicht gerade dem Biest verschrieben hat, wird sich schwer mit der Sorte Hartmetall-Soundgewitter tun wie hier bei der Live-Darbietung des Stücks Evisceration Plague. Besprechungstechnisch ergiebiger sind Slayer. Auch bei Slayer finden sich die für neuere Metal-Richtungen typischen Tempi-Wechsel, die schnellen, maschinenartigen Sounds sowie Texte, die sich bewusst entlang der Borderline bewegen. Dem Thrash Metal, quasi der Ursprungsrichtung des Metiers, werden auch Metallica zugerechnet. Allerdings: Aller Rhythmus-Betontheit und aller harten Riffs ungeachtet warteten Metallica stets mit Song-Strukturen auf – darunter Feuerzeugballaden-Klassiker wie Nothing Else Matters oder klassische Rocksongs wie Enter Sandman. Darüber hinaus betrieb die Formation zielstrebig den genreübergreifenden Crossover – 2009 beispielsweise mit Lou Reed. Trotz oder wegen des Vorwurfs von Teilen der Metal-Szene, Metallica seien keine echte Metal-Band mehr, sind sie vermutlich der einzige Act der Szene, der sich einen überragenden Platz im Rock-Mainstream gesichert hat. Beispiel oben: die Co-Einspielung des Stücks Moth Into Flame zusammen mit Lady Gaga anlässlich der Grammy-Verleihung 2017. Ein Auftritt allerdings, der mit den Genre-üblichen Reinfällen und Pannen einher ging. Was bei der aufgezeichneten Generalprobe (siehe oben) als nachgerade perfektes Metal-Feuerwerk rüberkam, geriet beim Auftritt selbst zum Fiasko: Das Mikrophon von Sänger Hetfield blieb stumm; die Stimme mußte in den posthumen Mitschnitt hineinmontiert werden. Was zu der Erkenntnis führt, dass auch im Metal manches nach der menschlich-allzumenschlichen Devise »Shit happens« läuft.

Stufe vier (Härtegrad: divers)

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Mittlerweile stellt sich die Metal-Szene auf eine Weise vielgestaltig dar, dass selbst gestandene Insider den Überblick verloren haben. Auch wenn das Shocking-Moment naturement unverzichtbar bleibt, ist eine Rückkehr zu Melodie, zu Sentiment und auch zu herkömmlichen Song-Strukturen unübersehbar. Brian Hugh Warner aka Marilyn Manson, Sänger der gleichnamigen Band, ist in mehrererlei Hinsicht ein bemerkenswerter Sonderfall. Zum einen fällt er aus dem maskulin(istisch)en Role Model der Branche heraus. Warner inszeniert sich bewusst androgyn. Kombiniert mit einem Shocking-Level, dass bekannte Bands des Metiers durchaus zu toppen vermag, hat er sich als Provokateur per se in die Annalen der Rock- und Popgeschichte hineingeschrieben. Der Clip zu Third Day of a Seven Day Binge von 2015 (oben) löste einerseits zwar bei den Kritikern geteilte Meinungen aus – frei nach dem Motto: Wer mit zwanzig Kinderblut trinkt, hat auch mit fünfundvierzig bei seinen Leisten zu bleiben. Andererseits zeigt das Stück, dass Warner eines nicht fremd ist, dass dem Genre insgesamt etwas abgeht: Groove. Bemerkenswert sind darüber hinaus die engen Parallelwege zum Altmeister eines ganz anderen Genres: Johnny Cash. Cash coverte den Depeche-Mode-Song Personal Jesus 2002 auf American Recordings IV, Marilyn Manson folgte mit seiner Version 2004. Eine weitere von Cash interpretierte Nummer: das düstere Spriritual God's Gonna Cut You Down – hier in der Marilyn-Manson-Version aus dem Jahr 2019.

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Düsterer Nihilismus alleine garantiert noch keinen Stuhl im Metal-Walhalla. Kreativer Rabulismus und Experimentierfreude allerdings ebenfalls nicht. Der Metal-Musiker und Filmemacher Rob Zombie mag inhaltlich zwar ebenfalls mega-krass sein. In der Metal-Welt reicht es bislang allerdings nur für einen mittelprächtigen Platz. Zu schräg für Metal? Rob Zombie macht dies gut mit regelmäßigen Veröffentlichungen – beispielsweise dem launigen Clip zu Dead City Radio and the New Gods of Supertown (oben). Fans des Terror-Horrormovie-Genres kennen ihn darüber hinaus als Regisseur von Horrortrash-Streifen wie The Devil’s Rejects – sicher ein in jeder Hinsicht krasses Werk, dessen Changieren zwischen supergut gemacht und ethisch heikel diese YouTube-Filmkritik recht gut auf den Punkt bringt. Welten weg von Rob Zombies Welten ist im Metal mittlerweile jedoch ebenfalls problemlos möglich. Beispiel: Nightwish und ihr mit Celtic-Klängen angereicherter Mittelalter-Metal – unten Abschnittende mit einem Klassiker der leichten Muse schlechthin, The Phantom of the Opera. Die beiden Nightwish-Sängerinnen Tarja Turunen (bis 2005) und Floor Jansen sind lediglich die Spitze des Eisbergs: Auch in der Männerdomäne Metal sind weibliche Acts zunehmend im Kommen. Nicht vorbei kommt man im Genre natürlich an Doro Pesch – einer Altgedienten, die stilistisch den älteren Metal-Spielarten zuzurechnen ist und mit Doro-Krachern à la All We Are auch heute noch Festivals aufrockt.

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Meta-Grade

Jährliches Sommerevent der Szene ist nach wie vor das Wacken Open Air. Wie vielgestaltig Metal zwischenzeitlich aufgestellt ist, zeigt das jährliche Auftritts-Line-up. Neben einer Mittelalter-Bühne offeriert das Festival auch Fernöstliches: beispielsweise die Metal-Teens der japanischen Formation Babymetal. Das Wacken Open Air, verewigt mittlerweile in einem Dokumentarfilm, hat viel dazu beigetragen, den Ruf dieser Musik aus der Schmuddelecke herauszuziehen. Die unspektakulären Fakten: Was – nicht nur in Wacken, aber exemplarisch dort – zum Tragen kommt respektive ausgelebt wird, ist die Musik, die Liebe zu ihr und sicher auch die dazugehörigen Eskapaden. Laut Polizeibericht gab es 2017 270 Verkehrsverstöße (darunter 17 unter Alkohol- oder Drogeneinfluss) sowie 175 Straftaten – mehrheitlich Diebstähle, allerdings auch acht Körperverletzungen. Schadensvergleich so: Vorkommnisse, die – Stadtfeste inklusive – auf jedem vergleichbaren anderen Event so an der Tagesordnung sind.

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Trotz ortspolizeilich verbriefter Verträglichkeit eignet sich Metal immer wieder für den ein oder anderen Sturm im Wasserglas. Der jüngste umweht seit Anfang Februar dieses Jahres Schock-Rocker Marilyn Manson aka Brian Hugh Warner. Der Vorwurf: multipler Mißbrauch an Ex-Partnerinnen sowie weiteren Frauen. Wie üblich wurden auch im Fall Manson die Vorwürfe erst über soziale Medien publik gemacht (im konkreten Fall: Instagram). Wie üblich lief die Lawine der Vorverurteilung fast im Stundentakt medial scharf, und wie mittlerweile seriell gehandhabt zogen Plattenfirma und Booking-Agentur fast auf Ansage die üblichen berufsnachteiligen Konsequenzen. Und: Wo ein Shitstorm, ist auch der entsprechend aufgeladene Moral-Furor nicht weit. Die F.A.Z. garnierte die Affäre mit dem Hinweis »Kein Monster, ein Mann«, die Podcasterin, Autorin und laut Textansage geläuterte MM-Anhängerin Sibel Schick schließlich krönte ihren ND-Kommentar zur Causa mit dem Versprechen, sich nunmehr ihr MM-Tattoo überstechen zu lassen.

Wie immer man es sticht oder dreht: Medial hochgezogene Hypes eignen sich selten zum Verhandeln grundlegender gesellschaftlicher Fragen. Im Fall Marilyn Manson stehen, egal wie er ausgeht, gleich zwei zur Disposition. Die erste lautet in lapidarer Klarheit: Wie moralisch einwandfrei oder sogar vorbildhaft müssen Künstler(innen) sein, damit wir bereit sind, ihre Werke zu akzeptieren? Die zweite Frage ist konkreter und richtet sich – wieder einmal – an das Genre Metal und sein angeblich gewaltförderndes Selbstverständnis. Dass der hyperventilierende Furor gegen Manson und seine – so Schick – Gewalt konkret ankündigende Musik faktisch auf wackeligen Beinen steht und etwa der Metal-Sektor in Sachen Übergrifflichkeiten keinesfalls hervorsticht, tut da anscheinend wenig zur Sache. Immer wieder scheint speziell diese Musikrichtung die Festen des Abendlandes zum Erzittern zu bringen. Ungeachtet der Tatsache, dass es sogar christlichen Metal gibt, ist dieser Mythos vor allem auf Seiten christlich-fundamentaler Hardliner ein wahrer Longseller. Wobei sich zwischenzeitlich überraschende Allianzen etabliert haben. Eher von Joan-Baez-Klängen als von Kirchenchorälen grundiert sein dürften etwa die Anti-Metal-Aktivitäten der saarländischen Ex-Grünen Christa Jenal – Aktivitäten, die nicht nur Auftrittsverbote für die US-amerikanische Darkmetal-Band Cannibal Corpse nach sich zogen, sondern sich auch gegen – aus ihrer Sicht bedenkliche – Texte der Mainstream-Rapper Die Fantastischen Vier richteten.

Nicht unterschlagen werden sollten bei alldem die kulturell-kulturpolitischen Fortschritte der letzten 60 Jahre: Extrempositionen wie beispielsweise die des Stuttgarter Musikwissenschaftlers und Privatpublizisten Klaus Miehling, denenzufolge allein klassische Musik sowie eventuell leichte Oper und Liedermacher hinsichtlich Gewalt, Kriminalität und sittlicher Verwahrlosung unbedenklich seien, findet man heutzutage nur noch selten. Inhaltlich schwerer indess wirken die Vorwürfe, die (Metal-)Szene sei nach wie vor homophob, latent rassistisch und vor allem machistisch. Allerdings: Auch hier sind Schwarz und Weiß längst nicht so eindeutig verteilt, wie manche(r) es gerne hätte. Nach rechts anschlussfähige – oder sogar rechte – Stränge des Metal: gibt es; der Frauen-Anteil im Metier: verglichen mit anderen Genres deutlich entwicklungsfähig. Doch es gibt auch andere bemerkenswerte Entwicklungen: So kommt das Gros der Metal-Anhänger(innen) außerhalb Westeuropa/US nicht etwa aus der Unter-, sondern vielmehr der Mittelschicht. Entsprechend gehört Metal unüberhörbar zum Soundtrack jener Demokratiebewegungen, die den Despoten rund über den Globus aktuell das Leben schwer machen. Als Beispiel an der Stelle unbedingt anzuführen: die brasilianische Formation Sepultura – nicht nur die vermutlich bekannteste Metal-Band außerhalb Westeuropa/US, sondern eine, die in ihren Texten offen die politischen Mißstände in ihrer Heimat ins Visier nimmt.

Immerhin – ein Gutes haben die ganzen Kontroversen rund um Metal und seine Fans: Anders als beim Mainstream-Rock, der längst kanonisiert ist, dauern sie weiterhin an. Was heißt: Es ist etwas in Bewegung; die Richtung ist noch nicht (ganz) tot. So wird man es – unter der Voraussetzung, dass COVID-19 mitspielt – auch 2022 wohl wieder erleben können: beim der alljährlichen Metal-Familienzusammenkunft im nordfriesischen Dorf Wacken.

Info

»Mashups« (siehe Wikipedia) sind Samplings, bei denen zwei oder mehr Musikstücke zu einem zusammengesamplet werden. Die Beitragreihe »mashupt« Themen, Künstler(innen) und Stile der Pop- und Rockmusik.

Staffel 1: (1) Hardrock versus Country | (2) Stones versus Dylan | (3) Feuerzeugballaden | (4) Funk versus Soul | (5) Wader versus Scherben | (6) Clash versus Cure | (7) Der »Club 27« | (8) Reggae-Time | (9) Venus, Glam & heiße Liebe | (10) Raves & Bytes

Staffel 2: (1) Die Hüter der Tradition | (2) Die Weitergabe der Staffel | (3) Gabriel und Werding | (4) Global Villages | (5) Der Schmerz des weißen Mannes | (6) Die Leichtigkeit der Dinge

Thema der nächsten Folge: Hip Hop & Rap in Germany: Titel: Reime & Beatz.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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