Nahost: Noch veranstalten die USA und Iran ein Schattenboxen

Analyse Die Militärschläge gegen Stellungen von Milizen in Syrien, im Irak und Jemen sind vom US-Wahlkampf Joe Bidens nicht zu trennen. Sie sollen Aktionsfähigkeit beweisen, Entschlossenheit demonstrieren und gleichzeitig Mäßigung signalisieren
Ausgabe 06/2024
Die außenpolitische Lage könnte für US-Präsident Joe Biden und seine Demokratische Partei im Wahlkampf unangenehme Folgen haben.
Die außenpolitische Lage könnte für US-Präsident Joe Biden und seine Demokratische Partei im Wahlkampf unangenehme Folgen haben.

Foto: Drew Angerer/Getty Images

Gelegentlich hilft es, sich der jüngsten Geschichte zu erinnern, um aktuelle Ereignisse zu verstehen. 2003 brachen die USA – gegen das Votum des UN-Sicherheitsrates – einen weiteren Golfkrieg vom Zaun. Begründet wurde dieser Feldzug mit politischen Lügen. Der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen: gelogen. Der Irak sei in die Terrorattacken auf die Vereinigten Staaten vom 11. September 2001 verwickelt: gelogen.

Ergebnis des Angriffs: der Sturz des Diktators Saddam Hussein und seines Regimes. Der Preis: bis zu eine Million ziviler Opfer, ein zerstörtes und politisch zerfallendes Land, das Ende der Illusion von einem „regime change“ und demokratischen „nation building“ auf den Trümmern eines Krieges, dazu last but not least die Geburtsstunde des Islamischen Staates (IS) – einer weiteren Terrororganisation, auferstanden aus den Ruinen einer gescheiterten Invasion, wie einst al-Qaida auf die Kriege um Afghanistan zurückging.

Als die USA 2011 schließlich aus dem Irak abzogen und das Land seinem Schicksal überließen, blieben dort etwa 2.500 GIs, um der irakischen Regierung im Kampf gegen einen islamistischen Untergrund beizustehen. Mit gleichem Auftrag agieren seither gut 1.000 US-Soldaten auf diversen Militärbasen in Syrien und Jordanien. Und noch etwas brachte der völkerrechtswidrige Krieg gegen den Irak: das Erstarken pro-iranischer Milizen in der Region. Gegenwärtig bilden sie eine „Achse des Widerstandes“ und sind Teherans Schattenkrieger gegen den „kleinen“ (Israel) wie den „großen Satan“ (USA). Tatsächlich jedoch wird ein Kampf um Macht und Einfluss in der gesamten Nahostregion geführt.

Dieses Ringen hat mit dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober und der militärischen Reaktion der Netanjahu-Regierung eine weitere Eskalation erfahren. Dass die Hamas den Krieg eröffnet hat, ist unstrittig. Genauso klar ist aber auch, dass die Vorgehensweise der israelischen Armee in Gaza jede Verhältnismäßigkeit sprengt.

Vernichtung der Hamas

Israel kann den Krieg nicht führen, indem es den Gazastreifen in Schutt und Asche legt und in stetig wachsender Zahl unschuldige Zivilisten vertrieben und getötet werden. Ob das Kriegsziel – die vollständige Vernichtung der Hamas und ihrer Verbündeten – überhaupt realistisch ist und je zu erreichen sein wird, erscheint nach mehr als vier Monaten erbitterter Kampfhandlungen höchst zweifelhaft.

So wie dieser Krieg stattfindet, ist das geradezu ausgeschlossen und ist eher mit dem Gegenteil zu rechnen. Ein Blick auf die jüngste Geschichte lässt vermuten, dass auch aus den Ruinen von Gaza neuerlicher Terror erwachsen und die Spirale der Gewalt sich weiter nach oben drehen wird. Das dämmert mittlerweile selbst der Biden-Regierung, die ihren Verbündeten mit durchaus deutlichen Worten kritisiert, ohne ihm deshalb die Unterstützung zu entziehen.

Das Dilemma der Demokraten in den USA

Die Demokraten kann dieses Dilemma im Herbst die Wahl kosten. Auch deshalb drängt Washington Israel zu Zurückhaltung und übt sich gegenüber Teheran in selbiger. Die Angriffe der pro-iranischen Milizen und die Militärschläge der USA gegen deren Stellungen in Syrien und im Irak gleichen einem beidseitigen Schattenboxen, das Aktionsfähigkeit beweisen, Entschlossenheit demonstrieren und gleichzeitig Mäßigung signalisieren soll.

Gleichwohl bleiben diese Scharmützel ein gefährliches Unterfangen, weil sie ein Eskalationspotenzial bergen, das in dieser explosiven Situation weder Washington noch Teheran vollständig beherrschen können.

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